Profis zu Besuch. Der Solokontrabassist des Philharmonischen Orchesters Heidelberg, Michael Schneider entdeckt mit den Klassen 5 der Realschule Waibstadt eine Million Fragen.

Der Ablauf der Schulbesuche von Michael Schneider ist immer der gleiche. Zu Beginn gibt es Musik von Johann Sebastian Bach für Violoncello Solo. Das Spektrum des weiteren Verlaufs ist so bunt und schillernd wie der Regenbogen.
“ Warum bin ich hier? Was wollt ihr von mir? “ bekommen die Kinder zu hören
Die Schüler merken: Jetzt sind sie dran und es sprudelt einen Strom von Fragen, die dem Gast noch nie gestellt worden sind.
Hier ein Beispiel: Was war der schlimmste Moment für Sie im Orchester?
Das war 1980. Michael Schneider hatte seine erste Probenwoche im Orchester Heidelberg. Es wurde “ La Traviata “ von Verdi geprobt. Plötzlich hört das Orchester auf zu spielen, aber Michael Schneider spielt ganz alleine weiter. Das geht zwei Tage lang so, bis der Dirigent auf ihn zugeht und ihn bittet, doch endlich ein bisschen aufzupassen. „Was glauben Sie, was ich hier mache? Aber es nützt nichts „.
Der Dirigent und das Orchester hat damals schnell begriffen, dass hier schlichtweg die Routine fehlt aber nicht das fachliche Können. So blieb die befürchtet-erwartete Kündigung aus. Auch diese Klasse merkt, dass die zielstrebige Begeisterung für etwas, zum Beispiel den Beruf oder die Berufung durchaus Brüche haben kann, wenn der eigene Wille auf ein Ziel hin trotzdem lebendig bleibt.
1 Million Fragen waren zu beantworten. Mit jeder beantworteten Frage taten sich weitere unzählige Fragen auf. Aussichtsloses Unterfangen?
Nicht für diese fünften Klassen der Real Schule Waibstadt: ein weiterer Folgetermin mit diesen beiden Klassen und Herrn Schneider wird gewünscht.

Theater und Orchester Heidelberg. Profis zu Besuch. Michael Schneider besucht die neunte Klasse der Realschule in Waibstadt.

Wieder einmal war ein Thema vorgegeben: Der Besuch einer Probe beim Philharmonischen Orchester Heidelberg sollte thematisch vorbereitet werden.
Aber wie schon so oft, die Schüler suchen sich ihre Themen selbst.
Wo ist dein Platz in diesem Leben und auf dieser Welt ? Müssen wir in allem auf dem Podest des ersten Siegers stehen? Diese Fragen standen im Brennpunkt des Interesses der neunten Klasse. Michael Schneider beantwortete diese Fragen aus der Sicht eines Musikers, der nie an einem Wettbewerb teilgenommen hat und somit auch keine Preise gewonnen hat.
Besonders für den Musiker Michael Schneider war die Beurteilung und Qualifizierung seitens anderer immer ohne Belang. Seinen Platz in der Gesellschaft gibt sich jeder durch sein eigenes Lebensgefühl.
So bedarf es für Schneider keiner Position bei den Berliner Philharmonikern um begeistert Musik zu machen. Er beschreibt es als grösstes Glück, dieser neunten Klasse in Waibstadt zu begegnen, die ihm beim Vortrag dreier Sätze aus den Cello Suiten von Johann Sebastian Bach so zugewandt und still ihr Ohr schenkt.
Schneider beschreibt das Dirigat von Yordan Kamdzhalov, der weniger Dirigent als vielmehr ein Maler der Musik ist. Sehr schnell begreift die Klasse, dass Neugier zum Lernen sehr hilfreich ist und unbekannte und unerwartete Wendungen mit sich bringt. So begreift die Klasse schnell, dass es bei dem Probenbesuch beim Philharmonischen Orchester Heidelberg nicht darum geht, sie für Klassische Musik zu gewinnen. Vielmehr sollen sie sich einmal darauf einlassen. Gefallen muss es ihnen nicht. Aber erst danach wissen sie, warum sie es vielleicht ablehnen.
Vor dem Besuch ist es ein Vorurteil. Nach dem Besuch werden sie es “ Wissen “ nennen.
Michael Schneider erlebt an diesem Vormittag eine gelebte Essenz der Philosophie Hans-Georg Gadamers: “ Toleranz ist, wenn man aus der Sicht des anderen denkt „.
Noch zu beantworten bleibt die Frage, wer an diesem Vormittag wen beschenkt hat.
Der Solo Kontrabassist des Philharmonischen Orchesters Heidelberg jedenfalls weiss nach dieser Begegnung: er macht sich um unsere Jugend keine Sorgen. Diese Klasse jedenfalls wird von ihrer Lehrerin Sybille Bachmeier sehr liebevoll und fürsorglich auf “ den “ guten Weg gebracht.

Neuer Tatort am 9.1.2015 – monatlich an einem Freitag im Querklang am Berghang in der Evangelischen Bergkirche Schlierbach um 20 Uhr. Johann Sebastian Bach, Komponist, Stefan Kirsch, Posaune und Michael Schneider, Violoncello bilden ein überraschendes Modern-Play-Bach-Trio.

Gibt es die Freiheit nur im Philharmonischen Orchester Heidelberg und in dem Songtext von Reinhard Mey: “ Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein ……..“ Nein, immer wieder riskiert Michael Schneider viel, wenn er gemeinsam mit Weltmusikern über die Cellosuiten von Johann Sebastian Bach improvisiert und gemeinsam mit anderen Instrumenten in einen neuen Dialog tritt. Der Kreativ-Posaunist Stefan Kirsch lässt sich am Feitag auf dieses Experiment ein. Das Wort “ Experiment “ ist bei solch einem hochkarätigen Musiker wie Stefan Kirsch das falsche Wort. Er tritt ein in einen inspirierenden Dialog, so entstehen Fragen und Antworten, die aus dem Wissen und Können im Umgang mit Freier Rede erwachsen. Falls Sie dieses Verfahren als Mord ( an J.S. Bach ) betrachten, dann machen Sie sich auf viele weitere Mord-Fälle am 9. Januar 2015 gefasst.
Eine Ballett Musik von John King wird ein weiteres Opfer sein, sowie Ornette Coleman. Die weiteren Opfer dieses Tatorts können Sie persönlich im Konzert ausfindig machen.
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Die Neugierigen unter Ihnen finden hier seine Webseite:
http://www.faxbone.de/stephan-kirsch-startseite

“ Winter in Schwetzingen 2014 “ – das Barockfest mit Niccolò Jommeli’s Barockoper unter der Leitung von Felice Venanzoni und dem Philharmonischen Orchester Heidelberg und einige Anmerkungen des Solokontrabassisten Michael Schneider.

Nikolaus Hanoncourt sagte kürzlich in einem Spiegel Interview: “ Gute Musik gibt es nur am Rande der Katastrophe „.
Das erzählte ich heute dem Dirigenten Felice Venanzoni, der daraufhin in Begeisterung ausbrach über ein Erlebnis mit dem Dirigenten Jean-Christophe Spinosi/strong>. Er erzählte, dass er als Cembalist mit einem Ensemble Orlando Furioso lange Zeit eingeübt habe. Dann habe Spinozi anderthalb Stunden an acht Takten gearbeitet. Die restlichen 3 Stunden wurden dann ad-hoc gespielt. Allerdings, wie er meinte mit äusserst gespitzten Ohren.
Dieser Mut zur Lücke ist uns Deutschen Musikern im allgemeinen etwas fremd, es verunsichert uns.
Michael Schneider jedoch, einst Strassenmusiker und Berufs Jazzer fühlt sich unter Felice Venanzoni wieder einmal wie im Paradies.
“ Spielen Sie nicht alles, spielen Sie was Sie wollen. Und wenn die Geigen zu langweilig spielen, dann treiben Sie ein bisschen, wie im Jazz. Machen Sie einfach Musik. “ So dieser Dirigent im Grob-Zitat. Nur weiss er dabei ganz genau was er will. Und was er nicht will: geradeaus und möglichst sicher und langweilig. Dann sagt er seine Meinung dazu sehr offen.
Im anstehenden Chor Konzert in der Peterskirche spiele ich mit meinem Kollegen am Kontrabass aus der gleichen Stimme. Trotzdem spielen wir völlig verschiedene Töne und Rhythmen, jeder auf seine Art improvisieren wir die Musik von Vivaldi und Bach.
Genau das, was wir Nordländer den Südländern vorwerfen: Schlampigkeit, Unzuverlässigkeit und so weiter, das wird hier in der Musik mit und durch Felice Venanzoni zu einem äusserst vitalen und virilen Klang Erlebnis.
Ich muss gestehen, auch ich bin überrascht. Sehr erfreut überrascht. Zunächst konnte ich es gar nicht glauben, dass es wirklich so gemeint war wie ich es jetzt praktiziere. Und ich merke plötzlich: auch Michael Schneider ist ein Deutscher.

Fünf in die Jahre gekommene Kompositionen – immer noch gut und auf hohem Niveau anspruchsvoll. Michael Schneider, Solokontrabassist und “ Privater Solo-Cellist “ empfiehlt Werke von Hanning Schröder, Hans Werner Henze, Teppo Hauta Aho und Karlheinz Stockhausen

1968, mitten in den Studentenunruhen in Deutschland, spielte ich schon einmal Cello und fand die Noten von Hanning Schröder als Photokopie und so sind sie mir irgendwie erhalten geblieben. Das einzige Manko dieser Fünf Stücke für Violoncello Solo ist aus meiner Sicht, dass Hanning Schröder nicht sechs Suiten à fünf Sätze komponiert hat ( 1957 ).
Der Schwierigkeitsgrad ist nicht besonders hoch. Im Duktus moderater Neuer Musik geschrieben, für mich im Stil des modernen Neoklassizismus gehalten, kann ein versierter Cello Schüler sie durchaus spielen.
So musste ich schon nach einer Aufführung dieser fünf Stücke erleben, dass eine bekannte Cellistin mir unterstellte, dass ich diese Stücke unter dem Pseudonym „Hanning Schröder “ spielen würde, weil sie nicht den Schwierigkeitsgrad 5 haben.
Aber mancher Sinn erschließt sich auch durch die Zutaten eines Meisters: Klangfarbe, Timbre, Interpretation.
Berühmt geworden ist sein Streichquartett über das Lied der Moor Soldaten.
Weiterhin spiele ich heute noch zwei Stücke von Hans-Werner Henze.
Seine Serenade für Kontrabass Solo in einer vom Komponisten autorisierten Bearbeitung .
Neun sehr unterschiedliche kurze Episoden, die auch auf dem Kontrabass immer noch frisch und frech wirken, sowie S. Biagio 9 agosto ore 12.07 für Kontrabass Solo.

Zwei Stücke von Teppo Hauta Aho: Cadenza und Pieni Bassofantasia sind auch in meinem Repertoire geblieben.
Ich weiss dass der Komponist Cadenza nicht mehr hören kann und will.
Aber ich bleibe dabei: Cadenza ist das anspruchvollste und seriöseste Stück von ihm.
Und zu guter letzt eine weitere Empfehlung von mir: die Tierkreiszeichen von Karlheinz Stockhausen.
Ich habe sie in den tiefen Lagen gespielt und auch in der Daumen Lage und teilweise auch gemischt – ebenso in gleicher Manier auf dem Cello.
In Konzerten kündige ich die zwölf Melodien der  Tierkreiszeichen gerne an als das schönste was nach Johann Sebastian Bach geschrieben wurde.
Über Geschmack lässt sich streiten, denn manchmal sieht ein Publikum das ganz anders. Unbestritten ist aber immer wieder die Seriosität dieser der von mir empfohlenen Stücke in ihrer Wirkung auf das Publikum und die Adaption dieser Musik für den Kontrabass.

In meiner Heidelberger “ Konzertphase “ habe ich alle „Probespiel Konzerte “ mit unserem Orchester aufgeführt, sowie zum 100 jährigen Bestehen des Philharmonischen Orchesters Heidelberg eine Uraufführung von Kurt Schwertsik. Alle Konzerte blieben Exoten und werden es wohl auch bleiben. Ganz anders ergeht es mir mit meinen obigen Empfehlungen. Nie taucht hier die Frage auf, warum jemand auf dem Kontrabass versucht wie ein Cello oder eine Geige zu sein, zu spielen. Intuitiv spürt das Publikum, dass dies Musik vom Kontrabass für dieses Instrument ist, bzw. wie bei den Tierkreiszeichen, ist die Komposition über alle Zweifel erhaben, dass sie sogar auf dem Bass ihre Anerkennung nicht verfehlt. Cadenza von Teppo Hauta Aho wird immer vom Publikum gewürdigt. Mit anderen Worten, es  spürt, dass es um Musik geht und eben nicht den Versuch, mehr zu sein als das Instrument hergibt.

Yordan Kamdzhalov verlässt Heidelberg – internationale Verpflichtungen rufen ihn. Michael Schneider wünscht ihm noch mehr Erfolg

Michael Schneider bedauert diesen schnellen Fortgang ausserordentlich. Yordan Kamdzhalov verirrte sich im Februar 2013 in ein Konzert mit Michael Schneider. Der spielte Bach auf dem Cello, mal richtig aber dann auch wieder sehr fremd. Für Klassiker: befremdlich, denn die trauen sich nicht, die Bachsuiten sozusagen hemmungslos zu spielen. Nach dem Konzert, das gemeinsam mit arkestra convolt der Cellomusik Johann Sebastian Bachs gewidmet war, erhielt der Cellist eine Mail von Yordan Kamdzhalov:

Mein lieber Herr Schneider,
also, das, was ich gerade mit Ihnen und Ihren Freunden erlebt habe, habe ich ehrlich gesagt nicht erwartet, es übertraf alle meine Erwartungen. Diese Freiheit, diese Spontanität, Authentizität  und Kreativität sind so berührend und sind so ein Luxus und Rarität in dem regulären Konzertleben heutzutage. Ich hatte immer Sehnsucht nach so etwas.
Das, dass  Sie sich so am Cello entfalten können, habe ich genauso nicht erwartet. Ich habe so viele  für mich neue Facetten in Ihrer Psyche und ihrem Leben miterlebt.
Ich bin ab heute Fan Ihres Ensembles und freue mich weitere ähnliche Ereignisse zu erleben.
Ihr
Kamdzhalov
Yordan Kamdzhalov
General Music Director of the City of Heidelberg   22.2.2013
Es war auch schnell abzusehen, dass der junge GMD hier nicht lange bleiben würde, denn das, wovon er in seiner Mail spricht, das ist auch seine eigene Sehnsucht. Viele Orchester sehnen sich nach einer solchen Freiheit und bekommen sie nicht. Und dass er ein grosser Musiker ist, das spiegelt die internationale Presse.

Mario Venzago ist auch nur zwei Jahre geblieben. Dann zog es ihn in die große weite Welt. Einen kleinen Hauch von seinem Weltruhm konnten wir Heidelberger wenigstens noch erhaschen, indem wir Ihn als unseren Ehrendirigenten teilweise zurückgewinnen konnten.

Ob uns das bei Yordan auch gelingen wird? Als unser Ehrendirigent könnten wir teilhaben an seinem Ruhm ?

Ein kleiner Gedankensprung und ich bin bei meiner Mutter gelandet. Sie war auch Koch Lehrerin. Sie war verheiratet mit meinem Vater. Mein Vater mochte Bratkartoffeln. Um es kurz zu machen: also sehr deutsches Essen.
Als Koch Lehrerin war sie sehr interessiert an internationaler Küche. Also jetzt nicht internationale Bratkartoffeln, seien es jetzt Pommes oder was auch immer. Ich, sein Sohn war da ganz anders gestrickt. Ich war neugierig auf alles was mir von meiner Mutter kulinarisch aus aller Welt geboten wurde.
Könnte es sein, dass ich dort die Wurzeln meiner inneren Freiheit erfahren habe?
Dabei war mein Vater in der Musik keineswegs ein Bratkartoffelngenießer.
So habe ich von meinen Eltern die Lust auf Freiheit und Großzügigkeit erlernt.
Als ich mit 14 Jahren meinem Vater mitteilte, dass wir einen Kontrabass in unserer Band benötigen, da lud er mich ein es selbst zu erlernen, dann würde ich immer gebraucht.

Es hat mir sehr geholfen, wenn auch nicht zu Internationalem Ruhm.
Um so mehr freue ich mich jetzt für Yordan Kamdzhalov.
Steht jetzt zu befürchten, dass sich viele Musiker aus dem Philharmonischen Orchester umbringen?
Weil sie in einem Philharmonischen Orchester ohne Yordan Kamdzhalov nicht leben möchten ? Müssen die jetzt verzweifelt versuchen, lebend das nächste Konzert trotz anderer Dirigenten zu erreichen?

Der Winter könnte wieder lang und kalt werden, aber zwei Opern Produktionen und mindestens drei Sinfoniekonzerte dürfen wir noch mit diesem Jahrhundertdirigenten erleben. Wenig ist nicht viel und nicht alles. Aber fünfmal darf ich als Heidelberger Philharmoniker noch im Sonnenstrahl einer Jahrhundert Sonne mich  erstrahlen lassen. Und das auch im anstehenden Winter.

So schließe ich meine Bemerkungen mit einem Zitat von Michael Ende:
Zu irgendetwas dient jeder in dieser Welt, auch wenn man ihn oft für entbehrlich hält.

Nota Bene:
Die Idee mit dem Selbstmordgedanken hat mir Joachim Lottmann gegeben.
In seinem Roman “ Zombie Nation “ schreibt er:
„Nach 1945 sind in Deutschland noch viele Menschen gestorben, weil sie sich nicht vorstellen konnten in einem Deutschland ohne Nazis zu leben.“