Hungerhilfe – musikalisch-lingual ? Hat hier jemand Hunger ? Sicher. Da kann Michael Schneider nicht helfen. Aber in Heidelberg im PHV begegnet mir in den Flüchtlingen ein anderer Hunger. Nach Sprache, nach guter deutscher Sprache.
Mein Vater war Lehrer, von Natur aus, er musste das nicht lernen. Doch, schon, aber nur für den Schein, nicht für das Können.
Er konnte es. In der Dorfschule in Hittbergen hatte er fünf Klassen vor sich in einem Raum. Die konnte er alle gleichzeitig beschäftigen. Dann kam das Einmaleins. Bis zwanzig – rauf und runter. Bis es alle, auch der Letzte und der Langsamste auswendig konnten. Da stand er vor der Klasse, einen Wanderstock in der Hand und klopfte den Rhythmus. Das ging immer wieder und so lange, bis alle von 1 bis 20 rauf und runter den gleichen Rhythmus im Aufsagen hatten.
Bis zu seinem Tod haben sich viele seiner Schüler immer wieder für seinen Unterricht bedankt, besonders für das Rechnen. Damals durfte in Geschäften noch weiter kassiert werden, wenn der Strom mal ausfiel !!!
Wie kam ich zur Musik ?
Mein Vater machte Musikunterricht mit seinen fünf Klassen. Orff-mässig: viele Trommeln, Perkussion. Jetzt lassen wir die Sau raus haben sich damals wohl viele Schüler gedacht. Michael Schneider denkt gar nichts und trommelt einen konstanten Rhythmus. Das war die Entdeckung meines Himmels: die Musik.
Ich übersetze: der macht gar nichts ausser Rhythmus.
So wurde ich dann auch der “ Rhythmus Knecht “ in vielen Jazzbands sowie der Chef-Knecht im Philharmonischen Orchester Heidelberg.
Die Entdeckung, dass eine junge Frau aus Somalia nach einer Woche ein Lied mit perfekter Aussprache fliessend und klar singen konnte, die hat mich schier umgehauen. Sie ist sicher noch schneller als andere Flüchtlinge. Aber dieser eklatante Gegensatz vom stochernden Lesen und absoluter Klarheit nach einer Woche: das schenkt mir Nachdenken.
Mit Musik und Sprache gelang es mir, zehn Jugendliche zwei Stunden am Ball zu halten, so als hätte jeder der Spieler beim Fussball permanent seinen eigenen Ball zu bedienen.
Ich denke darüber nach, was und wie das ist.
So wie mein Vater mit dem rhythmisch geschlagenen Stock vierzig Schüler alle bei der Stange halten konnte, so schaffen Lieder mit ihrem Sprachrhythmus und mein zyklisches Zugehen auf jeden Teilnehmer eine aktive Wachheit aller.
Meine Sicht auf die letzten beiden Wochen: So, wie das Gruppen-Aufsagen alle einbindet und beschäftigt, so erzeugt das gemeinsame Singen und Aufsagen von Texten im Wechsel mit individueller Darbietung einen kollektiven Aktivitätsmodus, dem sich keiner entziehen kann. Ich lasse dabei auch niemanden entwischen. Jedes Privatgespräch wird von mir kommentiert: die anderen reden nicht für sich, sie tun das für dich.
Vielleicht liegt es an der momentanen Zusammensetzung der Gruppe ?
Davon und darüber werde ich Interessierten weiter berichten.